Die Beweggründe der Menschen, ihr Haupt zu schmücken oder zu bedecken, waren und sind vielfältig. Es waren sowohl magisch-mystische, ästhetische als auch soziale und klimatische Veranlassungen.
Kopfbedeckungen waren die «bedeutungsvollsten» aller Accessoires. Ihre Symbolik, ihre Aussagekraft, ihre Funktion übertraf alle anderen Attribute. Das hängt damit zusammen, dass in allen Kulturen und Epochen die Macht des «Hauptes» – des «Häuptlings und Ober-«Hauptes» – hervorgehoben wurde.
Da der Kopf der sichtbarste Teil des Menschen in der Masse ist, ist er als Träger für herrschaftliche und religiöse Signale prädestiniert.
Macht, Autorität und Triumph wurden in allen Kulturen durch Vergrösserung der menschlichen Gestalt ausgedrückt. Sie erfolgte durch die Verlängerung des Kopfes, seltener durch Anhebung der ganzen Gestalt mittels einer hohen Sohle der Fussbekleidung. Demzufolge wurde auch der Hut, da eine die Gestalt erhöhende Kopfbedeckung, im europäischen Kulturkreis zur Kopfbedeckung des Mannes, im Unterschied zum anliegenden Kopftuch oder der Haube der Frau.
Die demonstrative Vergrösserung der Gestalt ist im sozialen Verhalten der Menschen begründet. Der Mensch als Sieger steht aufrecht, ist erhaben. Sein Kopf wird von Lorbeer umkränzt, die Gestalt des Herrschenden durch eine Krone erhöht, das Haupt des Erleuchteten, Seligen oder Gottgleichen durch einen Strahlenkranz verklärt.
Die Geste des Sichunterwerfens besteht in der Verkleinerung der Gestalt. Der Mensch unterstützt diese Geste der Demut durch entledigen seines Kopfschmuckes, durch Abnehmen der Kopfbedeckung und durch Darbieten des baren Hauptes. Daraus entwickelte sich für den Mann die Begrüssungsform des Hutziehens, der man bereits auf mittelalterlichen Darstellungen begegnet. Das Abnehmen der Kopfbedeckung in Gegenwart Höhergestellter, einer achtbaren Institution oder einer verehrungswürdigen Gottheit ist eine transkulturelle Demutsgeste. Es wurde zum Mittel ritualisierter Kontaktpflege. Im 19.Jahrhundert wurde das Hutlüften als überkommen in Frage gestellt. Es wurden Vereine gegen das Hutabnehmen gegründet, die jedoch wenig bewirkten.
Abgesehen von manchen religiösen Gesinnungszeichen unterliegen auch die Kopfbedeckungen von Künstlern nicht dem Hutziehen, da sie vom Träger als individuelles Persönlichkeitsmerkmal aufgefasst werden. Michelangelo hatte sich geweigert, selbst in Gegenwart des Papstes seine Kopfbedeckung abzunehmen, da er sie als Teil seiner Person sah.
Das Haupt verhüllende Kopfbekleidungen wie Schleier, Kopftuch und Haube wurden signifikant für die Frau, denn: das Verhüllen des Hauptes der Frau bedeutet im Allgemeinen primär die Unterstellung der Frau unter patriarchalisches Machtdenken. Wo diese Tatsache gegeben war, wie zum Beispiel im christlichen Mittelalter und im Islam, wurde sie durch unterschiedliche Rechtfertigungen und verschiedenste symbolische Begründungen unterlegt. Das den Mann verführende und damit ihn schwächende Weib sollte – nach Meinung patriarchalischer Glaubensdogmen – verhüllt werden. Das Haupt der Frau wurde stellvertretend für ihre Persönlichkeit und Willensstärke verdeckt. Noch dazu wurde dem Frauenhaar eine sündige Verführung unterstellt. In manchem Volksglauben übte das Frauenhaar magische Kräfte aus, besonders das offene Haar wie jenes der Loreley oder das wirre Haar von Hexen.
Umgekehrt sollte durch das Verhüllen des Haares der Frau ein symbolischer Schutz und magische Abwehr gegen Unheil gegeben werden, besonders in Krisen- oder Umbruchszeiten wie Vermählung und Trauer. Diese Symbolik von Schutz und Abwehr greift der Brautschleier auf. Er war in vielen Kulturen und schon sehr früh, so bei den Sumerern und Babyloniern, verbreitet. Im Hebräischen und Aramäischen bedeutet Braut kallatu, die Verschleierte. Im Lateinischen wird das Wort für Hochzeit abgeleitet von obnubere, bedecken.
Der christlich geprägte Ausdruck «unter die Haube kommen» weist auf den Eintritt des Mädchens in den Stand der Ehe zum Zeichen der Demut vor Gott und dem Ehemann hin. Der Schmuck des weiblichen Haares, seine erotische, verführerische Ausstrahlung sollte allein dem Ehemann vorbehalten bleiben. (Die verheiratete Frau trug eine Haube, die ledige Frau durfte ihr Haar zeigen [Anm. Caroline Felber])
Während der Französischen Revolution drückte sich das Selbstbewusstsein der unteren Stände stark über die Kleidung aus. Dabei spielte die Kopfbedeckung eine grosse Rolle. Der sogenannte Bonnet rouge diente dem Proletariat als Zeichen seiner revolutionären Gleichheitsforderung. Die Anhänger der bürgerlichen Revolutionsregierung aber wollten sich ihrerseits deutlich vom Proletariat unterscheiden und trugen Zylinder.
Accessoires: Symbolik und Geschichte
Ingrid Loschek 1993
ISBN 3-7654-2629-6
In den 90er-Jahren entdeckten die Jugendkulturen die Aussagekraft der Kopfbedeckung als erste neu und verliehen ihr eine eigene Symbolik: Skateboarder trugen eine schräg oder verkehrt aufgesetzte Schiebermütze, Rollerbladefreaks erkannte man an ihren Bandanas im Piratenlook. Basketball-, Football- und Baseballcaps wurden nach «Winning Teams» oder beliebten Marken gehandelt.
Musiksender wie MTV und Stars wie Madonna oder Justin Timberlake trugen mit ihren Kopfbedeckungen das ihre dazu bei, dass Hüte und Mützen wieder gesellschaftstauglich wurden.
Seither hat sich ein neues Bewusstsein für Kopfbedeckungen entwickelt. Dies auch dank innovativen Hutmacherinnen und Hutmachern, die dem Hut ein zeitgemässes Image verpassten und ihm einen, dem heutigen Alltag der Menschen entsprechenden Nutzen gaben. Momentan erleben verschiedenste Kopfbedeckung ein kleines Revival. So trifft man unterschiedlichste Arten von Herrenhüten – Trilbys, Melonen, Zylinder, Fedoras, Porkpie, Canotiers – im Strassenbild an, ebenso wie Mützen in vielen Formen und Farben. Auch die Frauen haben die Kopfbedeckungen wiederentdeckt und von Alltagshüten bis schmückende Headpieces oder Fascinators wird Alles was der Trägerin Freude macht, zu verschiedensten Gelegenheiten und Anlässen getragen.
Zudem – wer weiss, dass wir 70% der Körperwärme über den Kopf «verlieren», wird im Winter sicher nicht mehr «oben ohne» ins Freie gehen. Und die aggressiver werdenden Sonnenstrahlen werden uns je länger, je mehr auch aus gesundheitlichen Gründen zum Huttragen einladen.